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AUFTAUCHEN – ENTSCHWINDEN
Von den Bildern des Christofer Kochs, in: Christofer Kochs, Speicher, Augsburg, 1999

Wenn man sich die Generation der fünfunddreißig- bis vierzigjährigen deutschen Gegenwartskünstler betrachtet, erscheint es einem fast unmöglich, jedenfalls verwunderlich, daß in der Generation der Jüngeren eine offensichtliche Abwendung von der „Figur“ stattfindet, beziehungsweise bereits stattgefunden hat, womit oft Hand in Hand die Ablehnung jeder „inhaltlichen“ Komponente einhergeht. Soweit man sich nicht der neuen Mittel (Bildschirm, Computer) bedient, malt man im weitesten Sinne Landschaftliches oder verzichtet ganz auf den Gegenstand (als Streifenmaler von den Kollegen verspottet). Mag dies auch kein bundesweiter Trend sein, ist dies doch die Situation bei den Abgängern und Studierenden der Akademie der Schönen Künste in München.

Christofer Kochs ist gerade als Meisterschüler von dieser Akademie abgegangen. Er malt figürlich, und mußte sich daher täglich der Diskussion der anderen stellen, die die (menschliche oder tierische) Figur als mögliches Sujet ablehnten. Er war gezwungen, sich Gedanken darüber zu machen, ob ihm die Figur, in seinem Falle die menschliche Figur, als Inhalt seiner Malerei tauge, er mußte sich ernsthafte Gedanken über die Art einer möglichen Figuration machen und er mußte sich den Mitkommilitonen gegenüber argumentativ behaupten. Es kann also als sicher davon ausgegangen werden, daß er sich die entsprechenden Gedanken gemacht hat, und daß er den Menschen sehr bewußt in den Mittelpunkt seiner Malerei gestellt hat.

Christofer Kochs ist also „figurativer“ Maler, weil er die meist menschliche Figur darstellt (die Frage, ob er deswegen auch ein gegenständlicher Maler ist, wollen wir uns später stellen). Mit der figürlichen Darstellung versucht er jedenfalls die Frage nach dem „Ursprung, der Seele“ des Menschen zu stellen, mit dem selbstverständlichen Ziel, durch hartnäckiges Insistieren irgendwann einer Antwort sich anzunähern. Dem „Wesen des Menschen“ will er sich annähern, dem „was nicht zu fassen ist“, dem Nicht – Sichtbaren, vielleicht sogar dem, was noch gar nicht existiert. Und dazu braucht er die „Figur“ als Katalysator, als Stoff zur Herbeiführung einer immer weitergehenden Veränderung, als Mittel zur Beschleunigung oder auch mal Verlangsamung eines gedanklichen und malerischen Prozesses; an ihr –der andauernden Verwandlung der Figur– entlang, versucht er eine Annäherung an die selbstgestellte Frage nach Ursprung und Ende.

Doch von Anfang an. Christofer Kochs ist 1969 geboren, er ist ein noch sehr junger Künstler. Bereits als Schüler und in den ersten Jahren nach dem Abitur war er Sänger der regional bekannten Pop–Gruppe „Apron“ (und er singt auch heute noch gelegentlich mit der alten und mit neuen Formationen). Das macht ihm auch durchaus noch „Spaß“. Was ihn dabei aber immer gestört hat und weiter stört, sind die Einengungen dieser Art der Musikausübung: man musiziert immer mit anderen und man ist Teil einer zwangsläufigen Gruppendynamik. Er will aber „seine eigenen Sachen“ machen, nicht gestört sein, wenn er „seine Dinge fixiert“, will „einfach tun können, wozu es einen treibt“ (wie es Mimmo Paladino einmal formuliert hat). Die Pflege von Schwerstbehinderten während des Zivildienstes reißt ihn sehr früh und abrupt aus der jugendlichen Gedankenwelt heraus. Hier sieht er sich mit wahrhaft existentiellen Fragestellungen konfrontiert. Freilich, besonders fröhlich war er ja nie, eher nachdenklich, melancholisch schon als Kind. Auch seine Musik war und ist ja eher traurig, dem Blues nahe. Allerdings ist der Blues aber nicht nur traurig, sondern eben auch euphorisch fröhlich, und Melancholie ist eben auch besonders geartete große Euphorie. 1992 beginnt Christofer Kochs (nach einem Jahr Praktikum in der Lithographiewerkstatt von Jan Prein) sein Studium an der Akademie der Schönen Künste, München, als sozusagen „fertiges Talent“ (so will ich das mal bezeichnen, weil mir eine andere Bezeichnung für einen jungen Künstler mit so vergleichsweise „fertigen“, ja sogar schon recht eigenständigen bildnerischen Arbeiten, wie sie Christofer Kochs schon damals schuf, einfach nicht einfällt). Daß er während des Studiums schon verschiedentlich für seine künstlerischen Schöpfungen ausgezeichnet wird, belegt nur meine vorstehende Feststellung.

1995 malt er das Ölbild „Der Bleimann“, das sich in meinem Besitz befindet. Dabei handelt es sich um ein ungemein suggestives Bild: eine beinahe weiße Figur im Zentrum der Leinwand schwebt mehr, als daß sie steht, diagonal nach links geneigt (aus der Sicht des Betrachters) aus dem Bild. Vor ihrem Bauch erkennt man einen waschbeckenartigen Gegenstand, die Gestaltung des Gesichts beschränkt sich auf die Andeutung von zwei Augenschlitzen in der Farbe des Untergrunds (eher als Durchblicke geeignet denn zum Schauen). Umfangen ist die Gestalt von einer laviert–weißen „Aura“. Arme und Hände fehlen. Links, auf der Höhe der Schulter der Erscheinung, schweben zwei Gefäße, das obere scheinbar zum Ausgießen leicht nach vor geneigt, verbunden wie zur Sanduhr; in Kopfhöhe ist eine spinnwebenartige, vertikale Lineatur angebracht, in der die Figur sich verfangen haben könnte, wie ein Insekt im Netz; rechts, auf Hüfthöhe, eine vertikal schwebende Büste, schwarz ins beinahe Schwarze gemalt. Geheimnisvoll, mystisch wirkt die „Lichtgestalt“ in diesem Bild, als sei sie nicht von dieser Welt (ein Eindruck, den man häufig bei den Koch´schen Figuren–Findungen hat). Doch sind Figur und Gegenstände auf diesem Bild klar umrissen und die Figur erscheint trotz der fehlenden Arme und Hände als eigentlich vollständige Figur, an der dem Betrachter auf den ersten Blick nichts fehlt.

1996 malt er (für die Neue Galerie im Höhmann–Haus in Augsburg) seine ersten großformatigen Bilder, u.a. das Bild „Memento Mori III.“. Hierzu zwei Dinge vorweg: erstens arbeitet Christofer Kochs in Zyklen, richtiger in Serien. „Das Gedächtnis der Vorstellung“ z.B. lautet eine solche Serie, oder „Memento Mori“ (wie oben gesehen), oder „Fiction – Nonfiction – Amplifiction“, oder „Verstärker“, oder „Faltungen“. Zum Zweiten: seine Titel sind ernsthaft, sie sagen zum einen etwas aus über die „beckmanneske“ Mystik von Christofer Kochs, zum andern aber weisen sie auch hin auf seine Absichten und seine Arbeitsweise: Die einzelnen Bilder –und noch mehr die Zeichnungen– bleiben offen, haben etwas Unabgeschlossenes, und sind deswegen zu Recht zu Gruppen, zu Serien zusammengefaßt. Doch zurück zu „Memento Mori III“, ein Bild, das wie eine Vorwegnahme der neueren und neuesten Bilder erscheint. Abgebildet darauf ist eine (vom Betrachter aus gesehen im linken Drittel) stehende überlebensgroße Gestalt vor einem ockerbraunen Hintergrund, der im unteren Viertel durch zwei vertikale, oliv–graue Flächen abgeschlossen wird, die Obere über zwei Drittel, die Untere über die ganze Breite der Leinwand gehend. Auf den ersten Blick scheint der grau gemalte Oberkörper dieser Gestalt, die nur über einen diagonal ins Bild ragenden Stummelarm verfügt, einem weißen, hemdartigen Gewand zu entsteigen. Auf den zweiten Blick nimmt man aber irritiert wahr, daß dieses helle Gewand folienartig durchsichtig ist, so daß der beige Hintergrund hindurchscheint: die „Büste“ ist daher eher in ein weißliches Hemd–Gewand „hineingesteckt“, als daß es ihm entsteigt. Zusätzlich irritiert, daß dieses Kleidungsstück viel zu fragil erscheint, um den schwer wirkenden Körper tragen zu können. Das Gesicht hat ein deutlich gemaltes rechtes Ohr und wirkt maskenhaft; auf dem Kopf sitzt eine irgendwie bäuerlich wirkende, dunkle Kopfbedeckung. Links unten, sozusagen zu Füßen der Gestalt, befinden sich zwei barock–archaische, etwa kniehohe Figurationen; im rechten oberen Eck ist ein dunkler, nichtgeometrischer Fleck mit Ornamentfragmenten angebracht; im rechten unteren Eck eine rechtwinklige vertikale Übermalung. Der Hintergrund sowohl in Ocker als auch in Olivgrün ist aquarellartig lasierend gemalt und wirkt beinahe wie zufällig belassen. 1998 malt er auf hellgrünem, recht pastosem Grund (die Gründe sind in den letzten Jahren zunehmend dichter, geschlossener geworden; ein Darunter ist noch zu vermuten, aber nicht mehr wie früher zu sehen) eine rechts aus dem Bild „gehende“ Figur mit nur einem Bein (dem rechten) und einem Arm (wiederum dem rechten); im Kopf sind, wie so oft, nur leere Augenhöhlen und eine Mund- oder Nasenöffnung angedeutet. Links oben im Bild schwebt ein trommelartiger Gegenstand in grau, mit einem Fleck dahinter, der etwas dunkler ist als das Grün des restlichen Grundes. Fast über den gesamten oberen Rand verläuft von rechts ein gelblicher Pinselstrich, ebenfalls vom rechten oberen Eck nach unten eine, etwas breitere weiß–graue Fläche. Eine verstümmelter Mensch, von links aus dem Bild kommend, oder ins Bild „heineingehend“, soweit man mit einem Bein überhaupt gehen kann. (Auf einem anderen Bild, das wohl gleichzeitig entstanden ist, ist das Bein verkümmert zu einem dünnen Strich, die Figur zur etwas unter die Hüfte reichenden Büste, so daß der Eindruck entsteht, diese stehe gleich einer Schneiderbüste auf einem Stab und verschränke die Arme auf dem Rücken).

Wenn man die Entwicklung Christofer Kochs anhand dieser 1995, 1996 und 1998 gemalter Bilder betrachtet, muß man zum Ergebnis kommen, daß zwar der Inhalt ambivalent mehrdeutig geblieben ist, daß sich aber die Figuration doch gewandelt hat: sie ist fragmentarischer, verunklarter, damit aber auch offener geworden. Es entsteht so der Eindruck, als seien ihm früher scheinbar vorhandene Gewißheiten fragwürdig geworden, als habe ein Zugewinn an Lebens- und Malerfahrung eher Zweifel und mehr Fragen denn Gewißheiten mit sich gebracht. Die Koch´schen Figuren erscheinen oft wie in einem teilweise blinden Spiegel oder durch eine teilweise beschlagene Glasscheibe gesehen, die Nicht – Wesentliches erst gar nicht sichtbar werden lassen. Die Gegenstände, meist menschliche Figuren, wirken, als seien sie unter großer Anstrengung einem inneren „Speicher“ abgerungen, schwer fixierbar gewesen, pendelnd zwischen Erinnerung, Vergessen und Noch–Nicht–Gewußtem, aus dem Unterbewußtsein auftauchend, schwindend, entschwindend, in einem Prozess des Finden und „Sich–selber–Findens“. Christofer Kochs formuliert diese Vorgehensweise im Gespräch einmal so: „Ein Signal wird aufgenommen, es entschwindet, bevor es recht erfaßt werden konnte; ein neues Signal wird aufgenommen“. Das Bild ist „der Moment der Reflexion“. Daß es bei dieser Art von Kunst natürlich auch –und nicht zuletzt– auch darum geht, eine direkte Verbindung zwischen dem Subjekt (dem Künstler also und seinen Absichten, Phantasien, Sehnsüchten) und dem Objekt (dem Bild also, der Zeichnung) herzustellen, das Bild also Träger ist der inneren Empfindungen des Künstlers, muß, denke ich, ausdrücklich gesagt werden. Enzo Cucchi beschreibt denselben Vorgang so: „Um den Augenblick der Erscheinung zu fangen,......diesen wilden, exzentrischen Augenblick, muß man sich in diese weiche Masse werfen, die durch die Bilderfahrung entstand und die jetzt auftaucht....schwebt. Alle Beziehungen zur Außenwelt abbrechen. Dann kann man sich das Bild in einem dunklen und entleerten Raum vorstellen. Das Bild bewohnt einen Ort des Nichts.....“ Bei Kochs Bildern stellt sich, wie bei den Bildern vieler Gegenwartskünstler auch, die Frage, ob diese denn nun gegenständlich oder ob sie nicht vielmehr abstrakt sind. Gegenständlich sind seine Bilder sicher in dem Sinne, daß erkennbare Gegenstände –wenn auch meist verzerrt, verstümmelt, fragmentarisch– darauf dargestellt sind. Jedoch sind diese Gegenstände isoliert, aus logischen Zusammenhängen herausgerissen, unter Aufgabe des Raums in die Fläche gesetzt. Sie werden so zu Zeichen, Symbolen, sind abstrakt und gegenständlich zugleich. Damit steht er in der Tradition einer Gegenwartskunst, die mit dem Tachismus begann, von Joseph Beuys spezifiziert und den zeitgenössischen „figurativ–zeichenhaften“ Künstlern unserer Zeit vielfältig variiert wurde. Und wenn er die Künstler der „Transavanguardia“, der „Arte Cifra“ geistesverwandt nennt, die italienischen Maler Sandro Chia, Enzo Cucchi, Francesco Clemente und Mimmo Paladino, so zeichnet er damit den Weg, den ein Joseph Beuys mit seiner chiffrenhaften Darstellung geöffnet hat. Mit den Künstlern der „Transavanguardia“ verbindet ihn „die heterogene Bilderwelt, das vielfältig gebrochene Bildgefüge, der Hang zur Erzählung, die ungewöhnliche Farbwahl“ (Klaus Honnef: Kunst der Gegenwart). Erzählerisch und poetisch, metaphorisch–verschlüsselt, auch mal ironisch ist diese Kunst. Ganz sicher wird Christofer Kochs sich wiederfinden in dem Zitat von Mimmo Paladino: „Mich interessiert –nicht nur in der Kunst– das Geheimnisvolle, das Unerforschbare, das Vergessene“.